Sonntag, 23. August 2009

Emsdetten II

So, etwas verkatert vom vergangenen Abend werde ich mir nun den Rest meiner Rückschau aus den Fingern quälen.

-Tag 3, 16. August 2009

Stehe mit der Sonne auf und mache mich auf die Suche nach einem geeigneten Frühstücksplatz. Vergesse, dass ich mich in Hagen befinde, und verputze schlußendlich mein allmorgendliches Käsebrot auf einem LKW-Parkplatz.

Hier spielt sich auch eine für diese Unternehmung nahezu historische Begebenheit ab: Ich verrichte mein Geschäft zum ersten Mal im Freien. Eine neuartige Erfahrung. In gemütlicher Hockposition kann man durch die eigenen Beine der Wurst beim Fallen zusehen. Sehr interessant! Die Hinterlassenschaft sieht aus, als hätte ein Hund gelernt mit Klopapier umzugehen. Freikoten, ein wahrhaft stinknormale Sache!

Sitze kurz hinter Herdecke am wunderschönen Hengsteysee und lasse die Beine ins Wasser baumeln. Die Sonne glitzert auf dem Wasser, ich telefoniere nach Hause und fühle mich gut. Plane schnellstmöglichst einen Campingplatz zu finden und den Tag geruhsam zu beenden. Zunächst erstmal ein Brot mit Käse. Meine Spezialität.















Natürlich kommt alles anders. Ich erreiche unwissentlich Dortmund, als ich - dem Wanderweg des Sauerländer Gebirgsvereins folgend - den hohen Syberg besteige. Oben angekommen treffe ich Christoph. Ein spiritueller, relativ abgedrehter Naturbursche, der mich auf seiner Vespa mitnimmt zu der Wiese in Dortmund-Aplerbeck, wo sein Zuhause steht: Ein bunt angemalter Bauwagen, vor dem ich es mir für die Nacht gemütlich mache.

- Tag 4, 17. August 2009

Es ist Montag, und so fühle ich mich auch. Habe aus irgendeinem Grund die ganze Nacht mit Reiern verbracht, bin demzufolge schwach und blass und wackelig. Erstmals stelle ich die gesamte Tour infrage, vermisse, was ich zurückließ und habe ungenaue, pessimistische Vorstellungen von der Zukunft. Durchfall habe ich auch. An diesem Tag werde ich vom Freikot-Sympathisanten zum professionellen, ausübenden Freikoter.

Drei Tage hat das Hochgefühl gedauert, jetzt hab ich die Nase gestrichen voll. Ich frage mich, wie ich mir das vorgestellt habe, mehrere Monate oder gar Jahre unterwegs zu sein. Mein Selbstwertgefühl und mein Tatendrang besuchen sich gegenseitig auf dem Boden und verarschen einander. Christoph kümmert sich allerdings rührend um mich.

Überall blöde Tierchen und Viecher und anderes Kroppzeuch, ich werde wahnsinnig.

- Tag 5, 18. August 2009

Einen Tag lang war der Depressionskram ja ganz lustig, aber heute gehts mir schon wieder gut, körperlich sowieso. Verbringe den Tag mit Christoph an einem See. Er engagiert mich, die nächsten 3 Tage bei ihm auf der Baustelle für 8 Euro die Stunde zu helfen. Er baut eine Natursteinterasse in Herbede. Wenn ihr auch irgendwann mal zuviel Geld und ein Eigenheim habt, und es euch nach einer wunderhübschen Terrasse gelüstet, deren Fertigstellung euretwegen ruhig ein bißchen länger dauern kann (schließlich lässt der Bauende sich gern mal ein bißchen Zeit - um es diplomatisch auszudrücken), dann findet ihr Christophs Firma hier.
Vielleicht macht er bis dahin aber auch irgendwo etwas völlig anderes. Es stehen nämlich einige Veränderungen an in Christophs Leben. Außerdem hat er alle 10 Minuten eine neue, die weltverändernde Idee. So zum Beispiel neulich, als er mir von seiner (bisher fiktiven) Partei erzählte. Die HPD, die humanistische Partei Deutschlands, mit dem Motto "Glück und Menschlichkeit für alle". So ironisch das jetzt alles rüberkommen mag, habe ich Respekt vor Christophs Leben und Lebensweise, und welchen Stress er auf sich nimmt, um sie sich zu ermöglichen. Es erfordert mehr als nur keinen Bock auf die Gesellschaft, um einfach irgendwo auf dem Land im eigenen bunten Bauwagen ein Aussteigerleben zu führen, wenn man nicht einsam sterben möchte. Vielleicht schreib ich an anderer Stelle mal ein zusammenhängenden Text über Christoph; hier und heute reicht, dass ich froh bin, ihn kennen gelernt zu haben und mit ihm einige wunderschöne, reichlich bescheuerte Tage erlebt zu haben. Weder diese Tage noch Christoph selbst werde ich jemals vergessen.

- Tag 6, 19. August 2009
Heute beginnt die Arbeit in Herbede. Nach einigen Stunden Steineschleppens und Kiesschippens fahren Christoph und ich zum Kemnader See, wo wir zunächst schwimmen und dann unter der Brücke unser Camp aufschlagen. Neben uns grast eine Herde Schafe und über uns fliegt ein Schwarm Wildgänse in V-Formation in den Sonnenuntergang.

Die Geräusche, die eine Schafherde macht, sind das Lustigste im ganzen Kosmos. Nur ganz ganz ganz ganz wenige Schafe blöken so, wie alle Schafe in den Hörspielen und Englischlernkassetten dieser Welt so blöken.
Ich stelle mir vor, das Leben als Schafherde auf der Weide muss so sein wie das Klischee der Rockband auf Tour: Man ist die ganze Zeit beisammen, man tut was man am liebsten tut (Rockband: spielen, saufen, über Frauen und mit Kerlen sprechen; Schafherde: grasen!). Und das wichtigste: Man führt die ganze Zeit Konversation auf unterstem Niveau! Manche Schafe erzählen einen schlechten Witz nach dem andern, der Rest der Herde lacht sich kaputt. Mit Ausnahme der Schafe, die - es tut mir leid - ein bißchen schwul klingen. Die beschweren sich nämlich ständig lautstark. Wahrscheinlich machen die anderen Witze auf ihre Kosten. Schmunzelnd über die gruppenpsychologische Problematik einer Schafherde nachdenkend entschlafe ich sanft.

- Tag 7 und 8, 20. und 21. August 2009

Ich bin eine Woche unterwegs und es kommt mir vor wie vier. Ich muss dringend weiter. Ich arbeite weiter und schlafe wieder unter der Brücke und setze mich am Freitagabend mit frisch verdienten 168 Euro in den Zug Richtung Emsdetten. In Münster mache ich Station und bestaune diese wahrlich schöne Stadt. Markus, alles klar, ich habs für dich schon mal angecheckt, ich glaub hier kann man gut wohnen! Gönne mir von dem ganzen Geld ein leckeres warmes Essen beim Italiener, zuerst ein Teller Bruschetta und dann Tortellini in Gorgonzola-Spinat-Sauce. Dazu ein dekandet spießiges Glas Rotwein. Satt und zufrieden steige ich in den Zug nach Emsdetten, wo der Neighbour mich willkommen heißt und mir die nächsten beiden Tage

- Tag 8 und 9, 22. und 23. August 2009

das Gefühl gibt, sehr willkommen zu sein.

Soweit der Stand der Dinge, jetzt hab ich wirklich keine Lust mehr, außerdem kommen Terrence Hill und Bud Spencer im Fernsehen.
Morgen früh gehts wieder los, zu Fuß Richtung Osten, Richtung Berlin.

Bis zum nächsten Mal, ich liebe euch alle!

5 Kommentare:

  1. Wir lieben dich auch!
    Und wir bewundern dich - ehrlich! Und das nicht nur wegen des Freiluft-Kackens...
    Denk dran: du kennst Alice und Rudolf in Everswinkel-Alverskirchen östlich von Münster.

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  2. Wuppertal ist doch tatsächlich so klein, dass ich bisher jede Einzelheit schon wusste, bevor ich mir die Seite angeschaut habe... bis auf die Schafe. Das ist wirklich toll: eine wunderbare Gesellschaftsparodie!
    Übrigens sollten wir uns mal absprechen, wo du zur Kabarettaufführungszeit haust, damit wir dort mal gastieren können. Es wäre ja schade, wenn du wegen des Freiluftkackens ein Programm verpasst!

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  3. Ein Kommentar, ganz ohne auf das Freiluftkacken einzugehen: Danke fürs abchecken meiner zukünftigen Hometown!

    Lukas und ich haben an dich gedacht, als wir in den Staaten verweilten. Ich hoffe du hast weiterhin so ereignisreiche Tage, wobei ich daran eigentlich nicht zweifle. Grüß mir die Welt!

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  4. verlauf dich nicht, streuner!
    hab ma bei googlemaps die strecke von deinem haus in wuppertal bis zu evas straße in berlin als fußweg eingegeben und der sagt man bräuchte 4 tage und 15 stunden... also halt dich ran! du kommst sicher an hannover vorbei oder? alles andere wäre n umweg... der philipp mekus und die pina wohnen da, falls du schlafgelegenheiten brauchst.

    pass auf dich auf, hast irgendwelche medikamente mit? besorg dir was gegen durchfall, das wirste sicher häufiger erleiden müssen..

    hab dich lieb,
    jule

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  5. wo wir grade alle so gut drauf sind...ich nenne es freikoten, nicht freiluftkacken, ihr barbaren! nur weil es um exkremente geht, muss man sich doch nicht so ungehobelt ausdrücken!
    ansonsten freu ich mich, dass ihr alle an mich denkt...ja sicher hab ich was gegen durchfall dabei, jule ;o)

    grüße aus osnabrück
    der streuner

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