Dienstag, 24. November 2009

Ab aufs Land

Aufgrund der bereits im letzten Beitrag beschriebenen Witterungsbedingungen hab ich keine Lust auf die Wanderei im Moment. Leben, Atmen, Schlafen muss ich alles aber trotzdem. Ab heute mach ich das in Jeeser, einem kleinen Dörfchen vor Greifswald, wo zwei verstrahlte Alt-Hippies in ihrem besetzten Waldschlößchen einen Riesen-Bücherflohmarkt etabliert haben und mich kostenlos aufnehmen. Ich helfe dafür beim Büchersortieren, im Moment die Reiseliteratur nach Ländern. Gleich mach ich mich auf den Weg dorthin, mit Sack und Pack. Ich ziehe sozusagen mal wieder um. Mal sehen für wie lange. Hauptsache, es wird lustig.

Passt auf Euch auf. Fröhliche Weihnachten!

Dienstag, 10. November 2009

Gruß aus Greifswald!

Meine Damen, meine Herren!

Wieder ist einiges passiert seit dem letzten Eintrag. Letzte Woche ging meine schöne, lange Zeit in Leipzig bei Max, Max und Florian zu Ende. Die Zeit also, die nicht nur für Straßenmusik und gemeinsamen Austausch stand, sondern auch für Fernsehen gucken, herumhängen und lecker Essen. Ist auch schön, also hab ich kein besonders schlechtes Gewissen.
Bezugnahme auf: Straßenmusik. Wer die Kommentare hier liest, hats schon gefunden, ein Video, wo ich drinne vorkomm. Das folgende Video spielt also im schönen Leipzig, handelt von einem Filmfestival in Leipzig und beinhaltet mich auf der Straße mit Gitarre (samt gerissener Saite!), wie ich künstlerisch minderwertig einen lächerlichen Singsang für dieses Festival anstimmen. Und das alles um 5 Euro zu bekommen. Das war aber sehr gut, denn ich konnte mir so neue Saiten kaufen. Und es könnte sein, dass mehr Menschen meinen Blog lesen. Das würde mich auch freuen. Ist ja auch egal, im Folgenden nun besagtes Video, ab ca. 3:05 findet ihr meinen kleinen Gastauftritt.



Am 4. November also raffe ich mich auf und verlasse Leipzig mit dem Ziel Greifswald. Ich fühle mich wie aus einer Lethargie erwachend. Das Soma, der Cocktail aus den gemeinhin beliebten Erzeugnissen von Nahrungsmittel-, Genussmittel- und Medienindustrie hat mich wieder porös werden lassen.
Ich fahre zunächst mit dem öffentlichen Nahverkehr bis ungefähr Sandhausen, nördlich von Leipzig und steige mit dem Rucksack auf dem Rücken aus dem Bus. Es geht also wieder auf Wanderschaft, diesmal unter erschwerten Bedingungen. Nass ists und vor allem kalt.
Am Stadtausgang von Leipzig hab ich endlich die Muße, die Gitarrentasche wieder ordentlich hinten auf dem Rucksack zu verschnüren. So hab ich wenigstens die Hände frei, auch wenn die Tasche jetzt gewichtsmäßig unvorteilhaft meinen Rücken beeinträchtigt.
Beim Schnüren des guten alten Pakets merke ich nicht nur, dass ich vergessen habe, Brot zu kaufen, nein, es fehlt noch etwas anderes Essenzielles. Klopapier! Hm. Ich wollte sowieso Muskelaufbau betreiben, dann fang ich eben beim Schließmuskel an.
Ich laufe weiter.
Um viertel vor 4 mache ich Pause in einem Pausemachdach. So nenne ich die kleinen Wandererpavillons, die, ihr wisst schon, aus einem Stück Holz geschnitzt zu sein scheinen und mit Dach, Bank und Tisch die nötigsten Eigenschaften eines Unterschlups aufweisen. Dummerweise habe ich Blick auf eine Familie, die gerade mit dem Aus- oder Umbau der Einfahrt beschäftigt ist. Vater und Sohn schleppen Steine von A nach B und die dicke Ehefrau kommt vom Tierarzt, schlägt den Hund und brüllt die mähenden Schafe an: "Halt die Fresse, sonst...!"

Immer wieder bekommt man beim Wandern durch Deutschland das Gefühl, man wandere durch ein Warenhaus für Statisten bei der Supernanny.

Die Landschaft, durch die es mich trägt (besser gesagt, durch die ich mich und meinen Rucksack schleppe), ist herbstlich, dreckig, nass und grau. Wenn Fassaden zu Stimmungslagen fähig wären, so müsste die korrekte Gefühlslage der Architektur in diesem Landstrich als mindestens "pessimistisch" beschrieben werden. Aber die herbstliche Stimmung macht eben auch nicht Halt vor dem Betrachter selbst, also ist die melancholische Metaphorik mit Vorsicht zu genießen.

Kurz vor 5: Es wird irgendwie ganz schön dunkel. Ich suche vor dem Regen Schutz in einem dieser Spielhäuser auf einem Spielplatz und während ich da so sitze und Schutz suche, wird es dermaßen schnell dermaßen dunkel, dass ich beginne, mich mit dem Gedanken abzufinden, in ebendiesem Spielhaus zu nächtigen.
Dieser Versuch wird gegen 20 Uhr aufgegeben.
Ich wandere weiter, diesmal in völliger Dunkelheit. Gegen 21 Uhr erreiche ich Lindenhayn, wo ich auf dem Marktplatz herumhänge und die hochgeklappten Bürgersteige im nebligen Schein der Straßenlaternen betrachte.

Schlußendlich schlafe ich direkt an der B2, auf dem Gras, unter einem Busch. Zack, Bumm, ich schlafe.

Der nächste Tag ist ein Donnerstag. Als ich erwache, ist mir seltsam kalt und ich bin überzogen von einer geruchsarmen, nass-kühlen Flüssigkeit. Ich denke zunächst an Entführung, Außerirdische oder die Bilderberger, doch langsam verstehe ich, dass es eine schlechte Idee war, ohne Zelt Anfang November unter einem Busch zu übernachten.
Stehe auf, wandere weiter und finde mich schließlich hungrig, den Schließmuskel trainierend, aber annehmbar wach, verträumt im Schneidersitz sitzend auf dem Parkplatz der Kiesgrube Brösen.

Gegen 10 Uhr erreiche ich Bad Düben. Endlich bin ich gesättigt. Hier gibt es eine Bäckerei, und die nette Bäckerin hat mir grade Backwaren verkauft. Deren Großteil habe ich verspeist.
Außerdem habe ich bei Schlecker eine einzelne Rolle graues, einlagiges Toilettenpapier für 1,50 € erstanden. Ein Euro und fünfzig Cent. Eineurofünfzig!!! 2 Rollen vierlagiges kosten nur 80 Cent. Ich werde bescheuert, aber das könnte eben genausogut am Pochen an der Darmwand liegen und deshalb kauf ich das verdammte Klopapier!

Der nachmittägliche Weg führt durch die Bad Dübener Heider, wo ich schlußendlich mein Zelt aufbaue, wobei die Taschenlampenbatterien den Geist aufgeben, ich mein Zelt also im Dunkeln aufbaue. Am nächsten morgen merke ich, als ich, frierend und mit klammen Fingern, das nasskalte Zelt zusammenrolle und verstaue, dass der Försterei-Bauwagen, in dessen Windschatten ich schlief, offen stand! Aber nein! Eine simple und hundertprozentig trockene Nachtstatt ist mir nicht verwegen genug! Ich nenne mich selbst einen Vollidioten und setze die Wanderung fort, bis die Sonne aufgeht.

Ich folge heute der B2 weiter bis Wittenberg, dass ich, um die Handlung mal ein wenig zu straffen, in den Abendstunden erreiche. Anfängliche geographische "Problemchen" hindern mich daran, zeitig das Zentrum zu erreichen, sodass ich an den Stätten, an denen mir ein Schlafplatz geboten werden könnte, niemanden vorfinde, zu spät dran oder zu wenig vermögend bin.
Traurig sitze ich auf dem dunkeln Marktplatz und lausche den Klängen des Saxophonsolos, das aus einem rötlich illuminierten Eckzimmer durch die Straßen schallt.
Meine letzte Hoffnung in Form eines Polizeiwagens fährt vorbei. Polizisten oder Punker sind die einzigen, die in ausweglosen Situationen noch eine Möglichkeit im Ärmel haben. Und Punker habe ich bereits verzweifelt gesucht.
Die Polizisten beschreiben mir, wie ich zum Träucheler Weg (oder so ähnlich) - dem Nachtasyl der Diakonie - komme. Nach einer etwa einstündigen Wanderung durch Wittenberg, und einem zweimaligen Auf und Ab entlang des (4 gefühlte Kilometer langen) Träucheler Weges (oder so ähnlich) finde ich das unscheinbare Gebäude. Nach der Kopie meines Personalausweises und der Belehrung, dass, sollte eben keine Kulanz gewaltet lassen werden gehabt haben sein, dann würde eine Rechnung über 6 Euro an meine Heimatadresse geschickt. Daraufhin werde ich zu meinem Bett geführt und darf schlafen, bis 6 Uhr am nächsten Morgen. Toll. Ich bin begeistert, ich habe ein Bett, weil ich eins brauche. Es fühlt sich etwas komisch an, wieder sozusagen von den Spendengeldern anderer Leute zu profitieren, gerade wenn man eigentlich nicht von Haus aus ein Bedürftiger ist. Das schlechte Gewissen verflüchtigt sich aber ziemlich. Nicht nur, weil ich ziemlich müde bin, sondern auch, weil die übrigen drei Betten in diesem Raum völlig leer sind. So bewahre ich die Einrichtung vielleicht eher vor der Schließung, als dass ich ihr schade.

Ich muss das hier abkürzen, das wird ja ein Roman.

Am nächsten Tag rekapituliere ich die letzten drei Tage und weiß, dass Wandern bei diesen Witterungsverhältnissen Unsinn ist. Zumindest für mich und meine Konstitution. Ich trampe innerhalb von zwölf Stunden von Wittenberg über Potsdam, Magdeburg, Hannover, Hamburg, Lübeck und Rostock nach Greifswald. Da bin ich jetzt und da guck ich jetzt mal. Mir geht es gut.

Auf Wiedersehen!